 |
Gesellschaftsordnungen sind endlich. Was
heute als die beste aller Formen des Zusammenlebens erscheint, mag schon
morgen korrumpiert sein und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Ablöse
durch eine neue Ordnung erfolgt. Zugleich ist damit natürlich der
Auftrag verbunden, für die neue, kommende, hoffentlich bessere Ordnung
zu arbeiten. Kunst, die sich mit den Herausforderungen der Gegenwart befasst,
soll und kann auf das Leben zurückwirken und vor allem eines tun,
bewußtseinsbildend wirken. Bewußtsein schaffen für Themen,
die in der Öffentlichkeit wenig beleuchtet sind oder wo der Blick
aus bestimmten Winkeln fehlt, wo es an Visonärem mangelt, wo die
Kunst Ideen mit ihren Möglichkeiten auf einer anderen Ebene transportieren
kann, als das z.B. journalistische oder wissenschaftliche Arbeit vermag.
Sie kann die Störung des üblichen Gedankenflusses bewirken,
die Zerlegung von Mechansimen der Repräsentation zelebrieren, das
Auflösen von Stereotypen vorantreiben, das bewußte Wahrnehmen
einer Gesellschaft befördern, vor allem auch das Bewußtsein
für ein gewachsenes Umfeld, für historische Bezüge und
Umfelder, die in der sozial und politisch engagierten Kunst eine bedeutende
Rolle spielen. Geschichte wird kontinuierlich neu konstruiert durch den
gegenwärtigen Umgang und durch neuerliche Interpretationsversuche.
Es gibt genug Bedarf, diese Geschichtskonstruktionen mit den Mitteln der
Kunst kritisch zu analysieren, vor allem jene Geschichtskapitel, die zu
recht als unaufgearbeitet bezeichnet werden.
Beiträge in der Ausstellung:
Michael Blum, "The Three Failures" "The Three Failures" ist ein mit Video
aufgenommener Vortrag unter freiem Himmel, aufgenommen in drei verschiedenen
Städten. Jede dieser Städte repräsentiert das Scheitern eines politischen
Systems zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte: das historische
Scheitern des Kommunismus, das gegenwärtige Scheitern der Sozialdemokratie
und das bevorstehende Scheitern des Kapitalismus.
G.R.A.M., "Abdruck honorarfrei" Seit dem Jahr 1982 sammelt
G.R.A.M. Pressefotos aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft,
die meist geschönte, gestellte Aussschnitte aus dem beruflichen Alltag
zeigen. Die Sammlung wird zu Tableaus arrangiert, die viel über Inszenierungstechniken,
Werbestrategien, ritualisierte Posen und generell vom Wunsch erzählen,
von der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden.
Maruša Sagadin / Michael Hieslmair, "The Rate of Return"
Das Projekt untersucht die Bedingungen von Immobilieninvestment am fiktiven
Beispiel eines Bürobaus in Zagreb. Die Handlungsstränge der Akteure von
der ersten Idee, über die Planungs- und Bauphase bis hin zur Vermietung
des Objekts. Für transnational tätige Investmentkonglomerate versprechen
sich gerade im ehemaligen Osten Europas hohe Wachstums- und Ertragsraten.
Anna Jermolaewa, "Untitled (Good Times, Bad Times)" und
"Research for Sleeping Positions" Beide Arbeiten sind am Wiener Westbahnhof
entstanden. In der Fotoserie "Untitled (Good Times, Bad Times)" können
Tauben dabei beobachtet werden, wie sie auf den Zeigern der großen Bahnhofsuhr
je nach Uhrzeit ihre Position einnehmen, während "Research for Sleeping
Positions" eine Videoarbeit ist, in der man der Künstlerin beim Versuch
zusieht eine geeignete Schlafpositionen auf einer der unbequem konstruierten
Bänke in der Bahnhofshalle zu finden. Zudem ist es jener Ort, an dem sie
1989 ihre ersten Wochen im ehemaligen Westen verbrachte.
Franz Kapfer, "Passauer Vignette" Der Künstler decouvriert
mit dieser Videoarbeit die seit zumindest der Wiener "Türkenbelagerung"
von 1683 bestehenden Zuschreibungen. Hier die osmanische bzw. türkische
Gefahr für das Christentum - dort der österreichische Kaiser (derweil
in Passau) und vor allem der große Sieger, der polnische König Jan Sobieski.
Diese Muster sitzen sehr tief und lassen noch heute viele im "Abendland"
erschauern, wenn darüber nachgedacht wird, was geschehen wäre, wenn die
Geschichte anders verlaufen wäre.
Leopold Kessler, "Perforation Kal. 10 mm" Das Material
der mit Video festgehaltenen skulpturalen Intervention sind Straßenschilder,
die perforiert werden und danach den Eindruck erwecken, durchschossen
worden zu sein. Die subtilen Eingriffe in den öffentlichen Raum stellen
die Wahrnehmung der Realität in Frage und uns wird einmal mehr vor Augen
geführt, wie stark die uns umgebende Welt konstruiert ist.
Martin Krenn, "Misplaced Histories" Für die Fotoserie
"Misplaced Histories" nimmt der Künstler Gebäude auf, die in der Nazizeit
"arisiert" wurden, wie etwa das Riesenrad in Wien oder den Berliner Zoo
bzw. Gebäude, die im Zuge der Judenverfolgung eine Rolle gespielt haben
und heute drohen in Vergessenheit zu geraten wie etwa das Konzentrationslager
Stutthof in der Nähe von Danzig.
Lisl Ponger, "Work on Progress" Die Doppelvideoprojektion
zeigt zwei verschiedene Szenen derselben Inszenierung. Basierend auf dem
barocken Vanitas-Bild "Der Traum des Ritters" von Antonio de Pereda hat
die Künstlerin das Bild als Tableau vivant reinszeniert und mit aktuellen
Bedeutungesbezügen aufgeladen. Wie jeder Gegenstand, jedes Detail Bedeutung
trägt, so auch das T-Shirt einer Engelsgestalt mit der Aufschrift "Destroy
Capitalism". Der zweite Screen zeigt, wie die auf einem Tisch arrangierten
Gegenstände von einer Person mit wenigen Handstrichen abgeräumt werden.
Oliver Ressler, "Fly Democracy" Die Videoinstallation
"Fly Democracy" reflektiert aktuelle theoretische Diskurse über direkte
oder partizipative Demokratieformen und verwendet als zentrales Element
10 verschiedene Flugblätter mit Textpassagen verschiedener TheoretikerInnen.
Die Arbeit spielt direkt auf die Wortbedeutung "Flugblatt" an und den
Abwurf aus der Luft, der bis heute in kriegerischen Auseinandersetzungen
eingesetzt wird.
Isa Rosenberger, "Warschauer Nike" Die Künstlerin hat
in Warschau PasantInnen über ihr Verhältnis zur dortigen Nike befragt,
ein pathetisches Denkmal des Sieges über Nazideutschland. Die Antworten
spiegeln eine Bandbreite wieder, die von großer Verehrung des Denkmals
bis zu Geringschätzung und dem Wunsch nach Demontage reichen. Aus den
persönlichen Bezügen, die Menschen zu diesem Denkmal aufbauen lassen sich
allgemeine Überlegungen über die Aktualität eines solchen Monuments anknüpfen.
Jun Yang, "Camouflage - LOOK like them - TALK like them"
In der Videoerzählung spricht der Künstler von den Anstrengungen von MigrantInnen,
am Beispiel der Person X, in einer rassistischen und xenophoben Gesellschaft
zu bestehen, zumal dann, wenn es sich um illegalisierten Personen handelt.
Als probates Mittel erscheint, in gar keinem Fall aufzufallen, sondern
sich anzupassen, sozusagen in der Masse unterzugehen, indem die gleichförmige
Mode, Sprache und Bewegungsabläufe genauestens beherrscht werden.
*) aus: Bertolt Brecht, Leben des Galilei
www.galeria-arsenal.pl
www.austria.org.pl
<<
|